Scope Artikel zu Reinraumtechnik
Spritzen spritzen
Infusionsgeräte, Inhalatoren und Spritzen: Immer mehr Utensilien für Medizin und Pharmazie bestehen aus Kunststoff. Die Hersteller achten dabei zwar peinlich auf Sauberkeit, verlassen sich jedoch darauf, dass der Anwender alles vor Gebrauch noch einmal sterilisiert. Ein unnötiger Arbeitsschritt – wenn in einem Reinraum produziert wird. Warum das so ist, lesen Sie in unserem Beitrag.
Unangenehmes läuft durch die Maschine. „Pharmaverpackungen für parenterale Anwendungen“, nennt es harmlos Dr. Jochen Heinz, Entwicklungsleiter für diesen Unternehmenszweig bei Schott Glas. Für mich sind es Spritzen und jede Menge schmerzliche Erinnerungen. Die Anlage spritzt die kleinen Quälgeister aus einem Spezialkunststoff, entnimmt sie aus dem Werkzeug, inspiziert und komplettiert sie. Danach setzt sie mehrere Spritzen in einen Träger ein und verschweißt das Ganze in einer Folie. Alles vollautomatisch. Eine sauber gelöste Montageaufgabe. Im doppelten Sinn, denn die ganze Anlage steht in einem Reinraum, der jede noch so saubere Arztpraxis und jeden OP zur Schmuddelecke degradiert. Deshalb muss ich auch erst meine Hände desinfizieren und mich mit Haarhaube, Kittel und Überschuhen verkleiden, um überhaupt einen Blick auf die Anlage werfen zu dürfen.
Perfekt bis zum Öffnen
Wozu dieser Aufwand? „Solange das Werkzeug der Spritzgießmaschine geschlossen ist, ist die Spritze perfekt“, erklärt Dr. Heinz und meint damit nichts anderes als frei von Bakterien und Verunreinigungen. Denn die hohe Temperatur beim Spritzgießen töten alle dem Granulat anheftenden Bakterien rückstandsfrei ab. Doch sobald sich die Schließeinheit öffnet, fallen unzählige, natürlich in der Hallenluft enthaltene Erreger und Keime über die Spritze her. Diese müssten später durch Desinfizieren abgetötet und durch Auswaschen entfernt werden, da selbst die „Leichen“ der Bakterien noch Fieber verursachen. Ein aufwendiger, zeitraubender und damit teurer Prozess. „Die Reinraumtechnik dagegen erhält den sterilen Zustand weitgehend“, erläutert Dr. Heinz das neue Herstellungskonzept. „Durch die automatisierte Fertigung im Reinraum nutzen wir die Vorteile der Kunststofftechnik mit doppeltem Gewinn. Zum einen können wir Kunststoffspritzen sehr präzise und kostengünstig in hohen Stückzahlen produzieren, zum anderen sparen wir uns die Waschprozesse.“
Sauberer Maßanzug
Der Reinraum, der das alles erst möglich macht, ist mehr ein Maßanzug denn ein einfacher Raum. Eng haben ihn die Ingenieure von M+W Zander, Spezialist für Reinräume in der Pharma- und Halbleiterindustrie, an den Prozess angepasst und so viele Schmutzquellen wie möglich nach draußen verbannt. So sitzt zum Beispiel nur die Schließeinheit der Spritzgießmaschine im Reinraum, der heiße, schwer arbeitende und nie ganz sauber zu haltende Rest der Maschine bleibt draußen. Zum einen spart das Betriebskosten des Reinraums, zum anderen, und das ist viel wichtiger, verhindert es die Verunreinigung der mühsam gereinigten Luft.
Diese saubere Luft kommt aus Filter-Ventilator-Einheiten. Die in ein Deckenraster eingesetzten Kästen sind kleine Umluftgeräte, in denen ein Ventilator die Hallenluft durch ein Hochleistungsschwebstofffilter drückt. Bakterien mit ihrer für Reinraumverhältnisse stattlichen Mindestgröße von 2 Mikrometern bleiben in dem feinen Filter hängen. Die austretende Luft ist somit quasi steril, strömt gleichgerichtet nach unten und umhüllt die Spritzen stets wie ein Schleier. Reinraumklasse 100 begleitet so die Spritze von der Spritzgießmaschine bis in die Verpackung. Das bedeutet, dass in der umgebenden Luft weniger als 100 Teilchen größer 0,5 Mikrometern pro Kubikfuß (28,3 Liter) umherschwirren. Zum Vergleich: Die Luft in der so sauber wirkenden Praxis ihres Arztes hat allenfalls Klasse 100 000, vorrausgesetzt es bewegt sich niemand, und selbst ein normaler OP schafft gerade mal Klasse 1000.
Natürlich lässt sich solch eine extreme Sauberkeit nicht in jeder Maschinenhalle erreichen. Die Pilotanlage der Mainzer steht in einer Halle, die immerhin noch Reinraumklasse 100 000 bietet. Alles in allem sicher keine kleine Investition, aber eine die sich mehrfach rechnet: Bei Großserienproduktion sind die Kosten pro Spritze nicht mehr so gewaltig, die Betriebskosten niedriger als die einer Waschanlage und die Umwelt wird weniger belastet. Hinzu kommt, so Dr. Heinz, ein angenehmer Nebeneffekt: „In einer sauberen Umgebung wird eine Maschine sorgfältiger behandelt und gewartet als in einer schmutzigen Umgebung. Somit trägt der Reinraum schon allein psychologisch zur Produktverbesserung bei.“
Konstruieren ohne Teilchen
Doch Luft und liebe Behandlung der Maschinen allein reichen nicht aus, um die Spritzen vor Verunreinigungen zu schützen. Jede mechanische Bewegung erzeugt Abrieb in Lagern und Gelenken und zudem Luftwirbel, die diesen Abrieb verteilen. Eine reinraumgerechte Gestaltung der Bearbeitungsmaschine ist die Grundvoraussetzung für ein sauberes Produkt. Silke Fischer, Marketing Managerin bei Sortimat in Winnenden, fasst die wichtigsten Gestaltungsgrundsätze zusammen: „Nicht oxidierende Werkstoffe, meist Edelstahl, eloxiertes Aluminium und Kunststoffe, glatte Oberflächen ohne Ecken und Kanten, die sich leicht reinigen lassen und keine Bewegungen oberhalb des Produkts, also Greifen und Halten nur von der Seite oder von unten.“
Das hört sich einfach an, doch um diese Grundsätze umzusetzen mussten die Ingenieure in Winnenden schon einigen Grips in das Herzstück der Spritzenfertigung stecken. Die kurvengesteuerte Rundtakt-Montagemaschine greift die Spritzenkörper, beschichtet sie mit Silikon, verschließt sie, prüft sie anschließend auf Fehler und Verunreinigungen und setzt sie schließlich in einem Träger ab. Alles ohne die Reinraumklasse 100 im Geringsten zu beeinträchtigen. Dabei kam den Schwaben ihr großer Erfahrungsschatz zugute. Auf Kunden in der Medizin-, Pharma-, Elektro- und Automobilindustrie spezialisiert, genügen die Maschinen der Winnender schon von Hause aus der Reinraumklasse 10 000. Für das Projekt in Mainz griffen die Ingenieure jedoch noch tiefer in die Trickkiste: Keine sichtbaren Verschraubungen, alles reinigungsfreundlich von unten verschraubt. So gut wie keine Blasluft, denn die muss hochrein gefiltert werden, erzeugt gefährliche Luftwirbel und erfordert deshalb eine aufwendige Absaugung. Alle Antriebe gekapselt und Lager mit speziellen Dichtungen. Auch die Kurvensteuerung des Rundtaktautomaten ist keine Zufall. „Der Kurvenantrieb verzichtet im Gegensatz zum pneumatischen Antrieb weitgehend auf Druckluft und ist damit von Natur aus das geeignetere Prinzip. Hinzu kommt die große Genauigkeit, die sensible, im Reinraum gefertigte Teile häufig erfordern“, erklärt Fischer.
Zulassung Schritt für Schritt
Wer nun glaubt, ein schlüssiges Konzept, ein leistungsfähiger Reinraum und eine reinraumgerecht konstruierte Maschine genügen, um Produkte für die Pharmaindustrie herstellen zu können, der irrt. Vor den Erfolg hat die FDA Qualifizierung und Validierung gesetzt. Die Food and Drug Administration, eine US-amerikanische Behörde, kontrolliert mit Regelwerken und ihren gefürchteten Prüfern die Herstellung von Medikamenten und Nahrungsmitteln. Das geschieht so gründlich, dass sich immer mehr nationale und internationale Standards diesem Regelwerk angleichen. So werden selbst Zulieferer, die nicht direkt in den Bereich der FDA fallen, oft von ihren Kunden nach deren strengen Regeln abgenommen. Dann heißt es der GMP, der Good Manufacturers Practice, zu genügen und nachzuweisen, dass die Konstruktion ihres Gerätes unter allen günstigen und ungünstigen Bedingungen geeignet ist, das entsprechende Produkt zu fertigen. Diese Design Qualification (DQ) ist die erste Stufe auf dem Weg zur Freigabe. Der nächste Schritt ist die Installation Qualification (IQ), die zeigt, dass alles entsprechen der DQ aufgebaut wurde. Danach die Operation Qualification (OQ), der Beweis, dass das Gerät entsprechen funktioniert. Der Betreiber hat nun noch die Process Qualification (PQ) oder Validierung vor sich, die zeigen soll, dass sein Produkt mit diesem Prozess entsprechend der Vorgaben hergestellt werden kann.
Verwirrend? Das fanden die Montagespezialisten aus Winnenden auch und übernehmen deshalb für Sie diesen Nachweismarathon. Deren Geräte bekommen Sie bei Bedarf komplett mit allen Qualifizierungszertifikaten. Hieb- und Stichfest. Nur die Validierung muss der Betreiber der Montagemaschine selbst durchführen, da es hier um das Produkt und nicht nur um die Maschine geht. Aber selbst dabei greifen die Schwaben ihren Kunden mit einem breiten Dienstleistungsangebot helfend unter die Arme. Sie informieren und schulen Sie im rechten Umgang mit all den Q´s, so dass Sie den Rest ihrer Anlage selbst qualifizieren können. Selbst die abschließende Validierung führen die Montagespezialisten auf Wunsch mit Ihnen zusammen durch. Ein Service der nicht nur die Zahl Ihrer Ansprechpartner verringert, sondern auch die Ordnerflut. Denn keiner kennt seine Maschine besser als der Hersteller.
Reinheit für alle
„Dieser Service ist ein Schritt in die richtige Richtung“, bestärkt Dr. Heinz die Winnender, „denn die Anforderungen der FDA reichen immer weiter in die Zulieferkette hinein.“ So werden in Zukunft immer mehr Spritzgießer und Montagebetriebe mit der Problematik Reinraum, dessen Betrieb, Abnahme und Ausstattung mit geeigneten Maschinen konfrontiert werden. Und das nicht nur im Medizin- und Nahrungsmittelbereich. Auch Autoteile und die immer kleiner werdenden Geräte der Boombranche Mobilfunk, fordern verschärfte Sauberkeit.
Matthias Meier / Juni 2000 / www.scope-online.de